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Jakob Bernstein

Ein roter Kater

Jakob Bernsteins Griesheimer Gastspiele

Erzählt und bebildert von Helga Wilhelm (HeWi Galerie)

jakob_sowie_bernstein.jpg Eines schönen Tages saß sie wie aus dem Ärmel gezaubert auf dem Vitrinen-Schrank bei uns im Wohnzimmer und schaute aus erhabener Höhe mit runden Augen gelassen auf uns herab. Wir verhielten uns zunächst leise um die fremde Katze nicht gleich zu verscheuchen und rechneten eigentlich damit, dass, wenn die sprichwörtliche Katzenneugier befriedigt sei, sie wieder nach Hause ziehen würde. Sofern sie eine Heimat hätte. Sie hatte! Denn ab sofort war der Dünenhof am Pfungstädter-Weg von ihr kurzerhand beschlagnahmt worden. Es standen ihr auf unserem Hof zum Pendeln zwei Haushalte zur Verfügung. Allerdings waren diese jeweils schon mit mehreren Katzen belegt. Charly, Julchen und Resi heißen die Mäusefänger unserer Tochter. Meine eigene schnurrende Viererbande rekrutiert sich aus Wuschel,-einen meist zottelligen aber friedlichen Persermix,dem Tiger Katerle der hin und wieder den Haus-und Hofpolizisten heraus kehren muss; Jungmieze Pumuci-die anfangs fauchte und spuckte wie ein schwarzer Puma- und die dreifarbige Maumauci, welche öfters etwas mehr zu sagen hat. Alle Sieben reagierten zunächst auf den Zuzug des namenlosen roten Gesellen erstaunlich gelassen. Kein Wunder, sie hielten ja alle so etwas wie Winterschlaf.

Langsam wurde es dringlich dem Roten (rote Katzen sind meistens Kater) einen neuen Namen zu verpassen und so kam es, dass er an einem Tag als Karotte durch die Gegend lief, an einem Anderen Möhre tituliert wurde. Rote Rübe kam auch nicht besonders gut bei ihm an. Was uns sonst noch eingefallen ist und kurz mal ausprobiert wurde, war dem selbstbewussten Kerl ziemlich schnurridischnurz. Es vergingen Wochen und Monate, der Kater lief immer noch mit „Bäumchenwechseldich-Namen“ herum. Es schienen ihm Alle nicht so recht zu gefallen.

Man konnte in diesem Jahr erst im Mai so richtig die Gartenarbeiten genießen. Die Sonne wärmte endlich den gebeugten Rücken auf das Angenehmste. Da sprach mich ein junges Paar an. Sie hätten gehört ein Roter Kater hielte sich seit einiger Zeit am Hofe auf. Sie beklagten, so ein Tier seit Anfang Januar zu vermissen. Es war ihnen zugelaufen und genoss fünf Monate lang ihre Liebe und Gastfreundschaft. Ich bestätigte, dass ein charmanter Roter sich etwa ab dieser Zeit bei uns eingefunden hatte. Sie könnten ihn jedoch in Haus und Hof nicht in Augenschein nehmen, da er mittlere Weile die Dünen für sich entdeckt hatte und eifrig mit Jungkaninchen jagen beschäftigt sei. „Ach ja, wie heißt der Kater überhaupt?“ „Versuchen sie es mal mit Jakob,“ war die Antwort! Freudig, immer wieder „Jakob, Jakob“ rufend radelte das Paar eiligst in die Dünen hinaus. „Jakob, Jakobeck“ schmeichelte es lockend den Pfungstädter Weg entlang.

Nach einer Stunde-ich weiß nicht mehr genau wie lange, kamen sie zurück und berichteten froh, dass sie ihn getroffen hätten, mit ihm spielen und schmusen konnten und beobachtet haben wie glücklich das Tier in den Dünen war. Nur aus diesen Grund wollten sie akzeptieren das Jakob in den Dünen und bei den Wilhelms leben sollte.

bernstein5.jpg Fast täglich hörte man die „Jakob Rufe.“ Neugierig geworden fing ich an, die all abendlichen Spaziergänge mit meiner betagten, in Griesheim weltberühmten Deutschen Dogge Dali, ebenfalls wie zufällig, in die Dünen zu richten. Die Abendsonne sah wieder aus wie ein großer Bernstein! „Ich hab es! Jakob sieht aus wie ein kleiner Bernstein, der rote Schatz“. Bei mir blieb es nun dabei. „Bernstein! Bernstein“, rief ich hallend und schallend über die Felder, wenn die Jakob Leute noch nicht anwesend waren. Diesem Ruf ist der Rote seid geraumer Zeit willig gefolgt.

Oft waren die „Jakob Leute“ schon vor mir am Treffpunkt und sprangen meist lustig mit dem Kater herum, oder saßen auf einer Decke und beobachteten ihn bei seinen Unternehmungen. Da gingen Dali und ich, diskret unserer Wege. Sie sollten die Aufmerksamkeit der Katze nicht teilen müssen, denn ich hatte das Tier ja längere Zeit um mich herum, zumindest solange er noch regelmäßig nach Hause kam. So ging das einen schönen Sommer lang. Immer kam er auf Zurufen aus irgendeiner Himmelsrichtung angelaufen, die Antenne kurz vorm Zusammentreffen hoch reißend, fast schon Hundefreude zeigend. Gern begleitete er mich und Dali durch die Felder. Es muss ein Bild für die Götter gewesen sein. Diese bleiben einem leider nicht immer gewogen. Denn Pumuci und Maumauci verhielten sich immer weniger nett zu Bernstein und der zeigte sich öfter entnervt. Mehr und mehr reckte er den Hals nach fremden Leuten, schmiss sich förmlich ihnen zu Füßen, schmeichelte sich so bei jedem ein und lief ihnen zutraulich hinterher. Ihm gelüstete sozusagen immer wieder nach frischem Publikum.„Ach ist die süß, oh wie goldig! Die würde ich am liebsten mit nach Hause nehmen“, hörte man viele Leute schwärmen. Das gefiel JB besonders gut und darum trieb er sich zeitweilig zu gern am Pfungstädter-Weg herum. Es waren an den Wochenenden bei schönem Wetter, Prozessionen unterwegs und das wusste der Kerl genau.

bernstein4.jpg Inzwischen hörte ich verschiedene Berichte und erfuhr allmählich wie viele Wohnungen er allein in Griesheim wie ein Mietnomade ausprobiert hatte. Ich lernte sogar einige verlassene Herrchen und Frauchen kennen. Bei jeder Familie bekam er natürlich einen neuen Namen. Einmal war er drei Tage lang Felix der Glückliche gewesen, bis er bei passender Gelegenheit ausbüxte. Vorher war er geraume Zeit lang, der Paule. Als solcher wurde er durch eine Groß-Gerauer Tierarztpraxis nach Griesheim vermittelt. Da zeigte er schon seine „Wandervogelmentalität“. Er musste ungezählte male zurückgeholt werden. Eines Tages war ihm beiläufig in den Katzenschädel geschossen, er müsse mal von der Sterngasse aus, zum Aldi marschieren, um herauszufinden welche Katzen-Leckereien gerade im Angebot waren. Unbeeindruckt dessen, prompt raus geschmissen worden zu sein, machte er eigensinnig kehrt, um erneut im Aldi-Laden herum zu streichen. Es waren ja so viele nette Menschen da, welche wegen des vierbeinigen Kunden fast vergaßen, dass sie eigentlich zum Einkaufen hingekommen waren. Nach solchen und ähnlichen Exkursionen gab Paules Familie schließlich auf, nahm ihm schweren Herzens sein Adressenbändchen ab, und ließ ihn in Gottes Namen ziehen.

Immer wieder Sonntags

Einmal kam der Sonntag an dem auch wir ihn das erste Mal vermissten. Wie traurig die Zeit als alles Rufen und Locken in der darauf folgenden Woche vergeblich verhallte und kein Jakob Bernstein auf der Bildfläche erschien. Einige Tage bleibt ein jeder Kater mal aus, ist nichts Ungewöhnliches. Nur die Ruhe bewahren! Doch jetzt müssten wir dringend mal zum Tierheim fahren, um einfach dort nachzufragen. Ach wer hätte es denn gedacht? Er saß tatsächlich im Heim! Ziemlich stoisch und gelassen nahm er sein Asylanten Schicksal hin. „Da haben sie aber Glück gehabt, er war schon wieder vermittelt gewesen, der Charmeur und ist heute erst zurück gebracht worden, wegen-Allergie“! Die vorgegebene Allergie könnte ich mir etwa so vorstellen: JB verstand es nämlich prima, Leute um die schöne Nachtruhe zubringen, in dem er rumpumpelige Protest-Sprünge von Tischen oder Schränken landete, wenn er sich massiv seiner Freiheit beraubt fühlte.

bernstein1.jpg Es half alles nichts, ein neues Halsband musste dringend her. Die „Jakobleute“ kauften ein schickes, weinrotes Lederband mit Adressenpatrone. Sein Erstes war ein Grünes, welches er im Nahkampf mit unserem Katzen-Clan ab gezerrt bekam und das aber glücklicherweise vor der Haustüre lag. Bald darauf, war es jedoch auf nimmer Wiederfinden ab gesteift worden. Kaum war Bernstein mit dem neuen roten Band schick ausgestattet, nahmen die gewohnten, täglichen Rituale ihren Lauf. Er war wie zuvor in den Dünen zu finden, und empfing huldvoll abwechselnd unsere Besuche. Alle Beteiligten waren froh und zufrieden. Bis er sich eines Tages ohne das lederne Staatsbändchen einstellte, als sei weiter nichts besonderes geschehen, Sehr schade! Aber was soll's, muss es eben ohne gehen.

So vergingen einige, wenige Wochen, wir wollten gerade zu jeden-Ersten-Sonntag-im Monat-Selgros-Flohmarkt. Da kam ein Radfahrer mit einem großen Pappkarton auf dem Gepäckträger in unsere Einfahrt gebogen. Er wollte wissen, ob hier eine rote Katze hin gehöre. Der Mann konnte es mit eigenen Augen bestätigt sehen, denn Bernstein sprang schon am Eck vor der Einfahrt aus der Kiste, mit der er sich zuvor mehrere hundert Meter den hubbeligen Weg kutschieren ließ, um die letzten Zwanzig eigenständig nach Hause zu laufen. Der nette Herr berichtete, die scheinbar herrenlose Katze in der Dünenlandschaft entdeckt zu haben. Da sei er eiligst nach Hause zurück geradelt, um für sie eine geeignete Verpackung zu holen. Er hatte die Absicht die „Ausgesetzte“ im Tierheim abzuliefern, war aber so klug, vorher bei uns anzufragen. Wenigstens war JB dieses mal ein Asylanten-Schicksal erspart geblieben.

Besorgt mussten wir aber feststellen, dass er sein Revier langsam aber stetig erweiterte, dass er immer öfter Passanten anmachte.

Einmal beobachtete ich, wie er ein junges Kaninchen fing, es nach Katzenart einige Male laufen ließ, wieder ergriff, sich aber bald gelangweilt abwendete und das Kaninchen um sein nacktes Leben laufen ließ. Irgendwann wurde ihm eben alles mal zu öde.

Inzwischen bekam er ein neues rotes Band, nicht ganz so edel wie das Verlorene,-aus Textil eben. Aber es stand ihm auch sehr gut. Diesmal wurde es etwas enger geschnallt. Zwei Finger passten dazwischen, so müsste es gut sein. Nach kurzer Zeit hatte jemand daran manipuliert. Es war zwei Löcher weiter geschnallt worden und das Unterteil der Patrone mit samt der Adresse fehlte. Da musste JB bei der Friemelei sprichwörtlich der Geduldsfaden gerissen sein, er ließ die Kartusche wahrscheinlich nicht mehr zurück schrauben. Also musste fix eine Neue besorgt und alles wieder in die alte Ordnung gebracht werden. Das Rad der negativen Ereignisse drehte sich immer schneller. Mittler Weile verging kaum ein Wochenende an dem er Sonntags nicht mehr aufzufinden war. Montags hatte das Tierheim angerufen (man wusste ja jetzt Bescheid). Ein andermal wurde aus der Baumschulsiedlung gemeldet, ein Roter wollte sich bei einer Familie einschmeicheln, doch die dort ansässige Katze wehrte sich gegen das freche Ansinnen mit Händen und Füßen und hätte dabei fast die Fensterscheibe durch geschabt. Zuvor war JB einer Spaziergängerin bis zur besagten Siedlung hinterher getigert, hat sich in ihrem Haushalt ausgiebig umgeschaut und nach gründlicher Inspektion kommentarlos verabschiedet. Es blieb sein Geheimnis,wie viele Häuser er dort inspizierte. Doch bald kam der schwarze Montag, an dem er in keinem Heim im ganzen Umkreis aufzufinden war. Eine Woche verstrich-Ratlosigkeit! Die Zweite verging ereignislos-Krisenberatung! Ab der Dritten machte sich bei der Jakob-Bernstein-Fraktion Resignation breit. Ist sie schon vorbei? Die unendliche Geschichte vom roten Kater mit den tausend und einen Namen, welcher etliche Leute Monate lang in Atem zu halten wusste? Das Telefon klingelte. „Hier ist Marie! Frau Wilhelm, haben sie schon was von Jakob gehört?“ „Nein nichts!“-„Ich auch nicht,-überhaupt nichts! Ich glaube wir müssen Jakob vergessen, - oder?“ „Na warten wir's mal wieder ab.“

Die „Jakobleute“ waren schon ungezählte Male mit ihren Rädern unterwegs gewesen, um an den unmöglichsten Orten nach den „Abgängigen“ zu forschen. Erfolglos! Ich ließ meine Blicke über das Land schweifen, Dali seine Nase über den Boden streifen, es half alles nichts. Jeder Wühlmaus- oder Maulwurfshügel, welcher mir aus Ferne wie Bernstein erschien, ließ mein Herz hoffnungsvoll schrecken. Das ganze Jakob-Bernstein-Territorium wurde von uns mit Steckbriefen gespickt. Anfangs kamen noch Meldungen. „Ja ich habe ihn vor ungefähr einer Woche noch am Eichwäldchen gesehen!“ - Kann ja nicht sein! Oder-„schauen sie mal in der Sterngasse, Nähe Hegelsberghalle nach, da habe ich Heute gegen 22 Uhr eine rote Katze gesehen.“-Moment mal!-In der Sterngasse hat er doch mal gewohnt.-“Fehlanzeige!“ Wenn ich's recht bedenke, ist er in seiner Biografie nie freiwillig an einen, einmal abgelegten Ort zurückgekehrt, sondern ist immer nur weiter, weiter und weiter gezogen. Er muss wohl erst einmal um die ganze Welt getrampt gewesen sein, um endlich innere Ruhe finden zu können.

Jwd Wiesbaden

bernstein6.jpg Fast zwei Monate waren ins Land gegangen. JB hatte durch seine lange Abwesenheit nicht erleben müssen, dass unsere geliebte Dogge Dali, Ende August gestorben war. Das Drama geschah bezeichnenderweise auch an einem Sonntag! Er war knapp zehn Jahre alt geworden und nun endlich von quälenden Arthrose Schmerzen und stressenden Gewitterängsten befreit. 2006 bescherte einen sehr heißen und darum Gewitter reichen Sommer und Dali musste sich oft in seine Gewitterecke zurück ziehen und hinterließ danach immer eine riesige Hechelpfütze. Während wir ihn begruben, entlud sich ein dermaßen heftiges Donnerwetter, mit Wolkenbruch artigen Platzregen, wie ein himmlischer Abschiedsgruß über das traurige Geschehen und alle Beteiligten waren im Handumdrehen durchgeweicht. Wir hielten es nur eine Woche ohne kalte Hundeschnauze aus, obwohl wir vorher geplant hatten eine gewisse Zeit Hundepause einzulegen. Im Internet suchten und fanden wir einen Pudelpointer - Züchter, steckten Sonntags das nötige Kleingeld ein, fuhren in Richtung Koblenz. Beim Hundezüchter angekommen, entschieden wir uns für Bruno, einen dreieinhalb Monate alten Welpen mit wunderschönen dunkelbraunen Fell. Nach einigen Kilometern Heimfahrt ließ er ein kräftiges Wolfsgeheul ertönen. „Herrjemine“, dachte ich, wenn das den ganzen Weg so gehen soll, da müssen wir noch einiges ertragen. Es sollte doch nur der Abschiedsgruß an seine Mama und dem zurückgebliebenen Bruder gewesen sein, danach versuchte er zu schlafen. Leider konnte Bruno das Auto fahren noch nicht gut vertragen und musste deshalb einige Male kotzen.

Der kleine Kerl fühlte sich, in der neuen Heimat angekommen, pudelpointerwohl. Er vermochte uns alle durch seine lebendige Art wunderbar abzulenken, so dass wir nicht allzu sehr ins Trauer tief fallen konnten. Dennoch hinterließ Dali ein ganz schönes Loch von ca. 100 kg.

Da kam ein überraschender Anruf! Die Griesheimer Erstbesitzerin wusste von JBs Umzug auf den Dünenhof. Sie hatte uns Nachricht hinterlassen, der Paule sei in Wiesbaden aufgetaucht. Bumms! Weiter nichts! Zunächst waren die Recherchen ziemlich unklar. Endlich, nach ungefähr zwei Wochen gab es eine genaue Auskunft über JBs Aufenthalt. Er sei in Wiesbaden- Heßloch zu finden. Mit Sicherheit konnte er dort nicht auf seinen eigenen vier Pfoten hingeraten sein. Wie schon oft, suchte JB sich natürlich in Heßloch ein Haus aus, in dem zwei freundliche Miezen wohnten und gesellte sich wie selbstverständlich zu ihnen. Jedes mal kehrte er nach seinen täglichen Ausflügen brav dahin zurück, und das immerhin schon drei Tage lang. Die menschlichen Mitbewohner dort meinten, wenn sich kein Besitzer fände, wollten sie ihn adoptieren. Er kommt halt überall gut an. Was sich die Wochen zuvor abspielte, könnte nur Jakob Bernstein erzählen. Eiligst war ein Termin abgesprochen worden. Die Katzenbox und einen ordentlichen Stapel Handtücher für Bruno wurden eingeladen und los ging es noch am gleichen Nachmittag. Bruno allein zu Hause, das wollten wir noch nicht riskieren. Dummerweise gab mein Mann vor lauter Eile, fälschlicherweise anstatt den schnellsten, den kürzesten Weg in das Navigationsgerät ein. So wurde die Anfahrt für Bruno der absolute Härtetest. Die nette Dame im Gerät führte uns über Landstraßen von Ort zu Ort, ließ uns vor tausend Ampeln stehen, durch ebenso viele Biegungen kurven und Bruno hatte schon bald alle Handtücher voll gekotzt. Bei einem Pausen stopp musste ich sogar die Tücher aus dem Katzenkorb zu Hilfe nehmen. Die Horrorfahrt schien kein Ende zu nehmen.

Endlich, endlich waren wir am Ziel! Jakob Bernsteins übergabe ging zügig von statten, nur musste ich ihn in die nicht gepolsterte Box setzen. Die Rückfahrt über die Autobahn erschien uns wesentlich kürzer und schneller zu sein. Bruno schlief erschöpft die ganze Wegstrecke lang. Nur JB war mit dem Boxen Transport weniger zufrieden und jaulte in den höchsten Tönen. Von ganz hinten kam plötzlich ein penetranter Gestank in den Fahrerraum gezogen. Hatte JB sich ebenfalls übergeben müssen? In der Mitte dünsteten schon Brunos Handtücher beinahe genauso übel. Heilfroh daheim angekommen zu sein, holte ich JB eilig aus seinem Verlies, und musste ihn gleich gründlich waschen, denn er hatte sich aus Angst ein gekackt. Nach dieser unangenehmen Säuberung Prozedur, schaute er sich kurz zu Hause um. Aha! War soweit alles beim Alten und schwuppdiwupp ging's in geliebten Dünen hinaus. Erneut wurden von uns Aushänge verteilt: „Bitte, bitte, nehmt Jakob Bernstein nicht mit nach Hause, aus dem kann nie ein richtiger Stubentiger werden!“

Jakob Bernstein will Amerikaner werden

bernstein3.jpg Nur wenige Tage nach seiner erfolgreichen abenteuerlichen Rückführung, war JB abermals unauffindbar. Gegen 22 Uhr kam ein Telefonat aus der „Tierklinik Tann.“ Der dienst habende Tierarzt gab amüsiert bekannt, das unsere Katze von zwei sehr netten Militärpolizistinnen abgeliefert worden sei und könnte jeder Zeit abgeholt werden. In der Klinik angekommen, ist ja diesmal glücklicher weise nicht so weit gewesen, stellte der Arzt lachend fest: „Dieses Tier tat wenigstens etwas für die Völkerverständigung!“

Wie kommt das blöde Vieh bis zum Eberstädter-Weg, bloß um sich von der Militärpolizei verhaften lassen zu müssen? Das sind Minimum ein Kilometer Luftlinie vom Dünenhof aus gesehen. Kann nur sein, dass er Joggern nach gelaufen ist und bei der Gelegenheit die amerikanische Basis entdeckt hatte. Von da an verging kein Tag, an dem er nicht zu den Amis rüber gemacht ist. Zum wiederholten Male hatten die Jakobleute ihn abends zurück gelockt, und entweder am Dünenhof abgeliefert, oder zu sich nach Hause mit genommen. Er stellte sich sogar zweimal freiwillig zur Nachtruhe bei ihnen ein. Das machte alle Beteiligten hoffnungsfroh, denn jeder von uns glaubte, jetzt könnte JB langsam häuslich werden.

Aber nein, vergessen waren die schönen Dünen und der lange Pfungstädter-Weg. Er war nur noch drüben in der Station, auf „US-Kaninchen aus“. Wahrscheinlich wurde er in dieses oder jenes Büro hinein gelassen und höchst wahrscheinlich gut gefüttert, denn er sah prächtig aus. Wäre ja alles im grünen Bereich geblieben, wenn nicht ständig Anrufe gekommen wären: „Ich habe deine Katze! Kannst du sie abholen?“ Kaum war der Ausreißer zurück gebracht worden, landete er kurze Zeit später wieder in Klein-Amerika. Beim Wachpersonal waren JB und wir alle schon sehr bekannt. Manche Posten taten etwas streng, manche waren eher belustigt. Wir bemerkten spaßhaft, es sehe fast so aus, als würden wir permanent einen vierbeinigen Spion vorbeischicken. Diese Bemerkung löste allgemeines Gelächter aus! Mir war weniger danach zu Mute.

Warum haben wir das rote Biest zurück geholt? Weshalb haben wir das seltsame Tier nicht in Wiesbaden gelassen? Längst hätte er wieder einen neuen Namen mehr, und wir viele Sorgen weniger.

Irgend etwas Magisches trieb ihn immer wieder zur US-Basis. Hatte er vielleicht einmal amerikanische Vorbesitzer, kam ihm deswegen die Sprache vertraut vor? Seine diesbezüglichen Beweggründe werden wir ohnehin nie erraten, und wenn wir noch so grübeln.
Das Jahr neigte sich langsam dem Ende zu, und wir hofften inständig auf kaltes, ungemütliches Wetter. Vielleicht würde JB in den Herbst-und Wintermonaten eine warme deutsche Stube vorziehen. Es wurde nie wirklich richtig kalt in diesem verflixten Jahr!

Ring, Ring! „Hier Mr. Sowieso! Ich habe deine Katze, kannst du sie abholen?“
„Wir kommen erst am Abend, sonst ist sie kurze Zeit später wieder bei der Station. Lass die Katze bitte laufen, die findet allein nach Hause, wenn sie das will.“
„Okay, kein Problem.“ Ring,Ring!
„Ich habe deine Katze, kannst du………?“ Ring, Ring!
„Hier Missis .." -ich weiß nicht mehr wer. "Wir haben deine Katze in der Kaserne-Eschollbrücker Str!“ ???????????
„Wie können wir unsere Mieze aus diesem Hoheitsgebiet heraus holen?“
„Kommen sie zu Mc Donald da und da, um die und die Uhrzeit.“ übergabe - von Schulter zu Schulter! - Hatten Bernstein sicher im Auto verstaut, mit dem freundlichen amerikanischen Ehepaar Coca Cola getrunken und einige JB-Eskapaden geschildert, unseren Helden zurück entführt und natürlich, danach zwangsläufig laufen lassen. Ring, Ring…… Wir JB-Verbündeten redeten uns zum wiederholten mal ein: „Wir müssen ihn immer und immer wieder zurück holen. Einmal wird er kapieren, wo sein eigentliches Zuhause sein sollte.“

bernstein2.jpg Aber bei der nächsten eigensinnigen Fluchtaktion, stellten sich bei allen Betreuern berechtigte Zweifel ein; Warum müssen ständig wir der Katze hinterher laufen, sollte es nicht eher umgekehrt sein? Wir kümmern uns ganz einfach nicht mehr um ihn. Basta!-Es sei denn, es ruft wieder jemand an! Ring, Ring!
„Ich habe deine Katze gesehen. Sie befindet sich an der Flughafenstrasse in der amerikanischen Siedlung. Kommen sie zum Parkplatz am Hotel zur Postkutsche.“ Kommandierte eine junge Stimme im perfektesten Deutsch.

Flughafenstrasse?-Aldi?-Alleine?-Nee, sicher war es wieder einmal eine amerikanische 007 Entführung! Egal, ich guten Mutes Sonntag Nachmittag zur Postkutsche gefahren. Da war das junge Mädchen, da sprang auch der rote Deserteur herum und wollte sich in irgendeine Wohnung flüchten, ließ sich mit Mühe und Not einfangen. Eine amerikanische Mama musste den großen Torschlüssel aus dem dritten Stock herbei schaffen, erst dann konnte die übergabe des kleinen, verrückten Kater aus dem Ami-Getto, durch das drei bis vier Meter hohe Tor abgewickelt werden.

Bernstein hatte sein Halsband nicht mehr an!

Natürlich ist er nach seiner freudigen Heimkehr, recht eilig abermals zielstrebig nach Amerika ausgewandert. Erstaunlicherweise erschien er am folgenden Morgen von ganz alleine auf unseren Hof und war, oh Wunder, wieder mit seinem roten Halsband bekleidet. Es war als wollte er das Band mal kurz stolz vorführen, denn all zulange hielt er sich nicht bei uns auf und blieb danach wiederum einige Tage aus.

Ring, Ring! „Ich habe deinen Börnstein!“ „Wo ist er denn diesmal gelandet?“ „In Bensheim!“ „Wo hast du sie denn gefunden?“ „An der Base.“ „Tut mir leid, ich kann heute nicht mehr nach Bensheim kommen. Bitte bringe Bernstein am nächsten Morgen dort hin zurück, wo du ihn gefunden hast und lass ihn einfach laufen.“ „Kein Problem!“ Leider konnte ich dem freundlichen Amerikaner eine weitere schlaflose Nacht nicht ersparen. Am folgenden Morgen gab er telefonisch durch, dass er JB zurück gebracht hatte.
Nach wie vor hielt er sich hauptsächlich bei den Amerikanern auf, wurde abends heim geholt, bis er wieder mal Wochen lang verschollen blieb. Mittler Weile waren Herbstmanöver im vollen Gange, und natürlich krochen drüben viele Soldaten im Gelände herum. Das müsste so recht nach dem Geschmack von JB gewesen sein. Wenn er das Schicksal immer wieder so heraus forderte, ist er vielleicht in eine verirrte Kugel gelaufen, oder bis zur Autobahn geraten, möglicherweise über den Zaun geklettert und von einem Auto überfahren worden. Ende, Gelände!
Aber nein, Jakob Bernstein ist und bleibt ein überlebenskünstler!

Jakob in Quarantäne

Die Haustierregistratur Tasso hatte angerufen: JB sei in Gelnhausen! Adresse und Telefonnummer lagen vor. Sofort verständigte ich die Jakobleute. Die waren überglücklich und meinten, diese gute Nachricht, sei das schönste Weihnachtsgeschenk, was es für sie gäbe. Dieses mal wollten sie ihn selber zurückholen. Er hatte natürlich wieder ein Haus mit Katzenbelegschaft gefunden. Die Familie besaß unter Anderen, ebenfalls einen roten Kater! Als JB vertrauensvoll um die Beine der Gelnhausener Hausherrin strich bemerkte diese gar nicht sofort, dass es diesmal ein fremder Schmeichler war!

Ich bekam sofort Bescheid über Jakobs erfolgreiche Heimkehr. Der einhellige Mehrheitsbeschluss danach lautete, JB muss, milder Winter hin, strenger Winter her, auf jeden Fall in Quarantäne bleiben. Das klappte alles in allem ganz gut, nur ging er ungern auf das Katzeclo! Nach langem Hin, und kurzem Her, miau hier, mrau dort; wenn er es gar nicht mehr verkneifen konnte, dann ging es schließlich doch. Mittlerweile wurde er ganz schön dick und rund und wird nur noch an der Leine spazieren geführt.

Irgendwann im April, wenn das Wetter aufgeht, soll er wieder zum „Freigänger“ erklärt werden. Fängt dann die unendliche Geschichte vom Kater mit den tausend und einen Namen von vorne an?

HeWi Darmstadt, April 2007

Letzte Änderung: 2013-08-23

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